Media Markt
Monatelange harte Arbeit kam schließlich zu ihrem Ende. Alles war vorbereitet, die Ware vollständig und verräumt, die Abteilungen tip top sauber und in hundertprozentiger Anordnung, streng nach Media Markt Konzept. So wie der Markt jetzt aussah muss ein Media Markt aussehen. Dafür hatten wir alles gegeben, dafür gab es die Anleitungen, dafür waren wir Coaches da, um diese Philosophie auf unsere chinesischen Kollegen zu übertragen.
Zwischendurch hatten wir hohen Besuch gehabt. Am 04. November 2010 hatten wir die Eröffnung für geladene Gäste, die sogenannte VIP-Opening. Hohe Vertreter der Industrie waren genauso anwesend wie hauseigene Prominenz, inklusive der Nummer 2 des chinesischen Partners Foxconn. Das Urteil der Verantwortlichen fiel gut aus. Nichts musste mehr geändert werden, der Abteilungsschnitt und die Warenpräsentation waren mehr als zufriedenstellend beurteilt worden. Das war der Lohn für die geleistete Arbeit. Wir waren startklar für die Stunde Null, für die Grand Opening. Jetzt konnten die Kunden kommen.
Ich bin sicher, daß es unmöglich war, von der Eröffnung des Marktes nichts mitzubekommen. Es gab verschiedene Aktionen im Vorfeld, wie zum Beispiel die Teebecher- und Regenschirm-Aktion. Gedacht war es, die Teebecher in unterschiedlichen Bezirken der Stadt an die Menschen zu verteilen, die gerade vorbei kamen. Daraus wurde leider nichts. Die Stadtverwaltung hat es schlicht nicht erlaubt, sondern nur ein einziges Event in einem U-Bahnhof genehmigt. Vielleicht befürchtete sie Unruhen, vielleicht sogar zurecht, wie die späteren Ereignisse um den Verkauf des iPhone4 belegen sollten. Wohin aber nun mit 100.000 Teebechern? Die Lösung dieses Problems habe ich nicht mehr mitbekommen.
Weitere Aktionen waren die großflächige Werbung in der U-Bahnstation South Huangpi Road und natürlich auch der erste Flyer mit den Eröffnungsangeboten. Da gab es einen Plasmafernseher mit einer Bildschirmdiagonalen von 106 cm (42") für sage und schreibe 2.999 Yuan, ein Preis den Shanghai bis dahin noch nicht gesehen hatte. Ebenfalls unbekannt war ein Preis von 4.999 Yuan für das iPhone4, das 2010 nagelneu und frisch auf den Markt kam. Die Computerabteilung hatte ebenfalls ihren Spaß mit einem Topangebot für ein Notebook von Compaq für 2.799 Yuan.
Wie man hier sehen kann, wurde die Yandang Road als Wartezone für iPhone4 Kunden eingerichtet, und zwar vollständig von vorne bis hinten! Das Schild rechts kündigt das nächste Problem an: obwohl tausende iPhones auf Lager waren, hatten die Behörden verfügt, daß nur 500 Stück am Tag verkauft werden durften! Es wurden Tickets mit Nummern bis 500 ausgegeben. Verkauft wurde auf einer first-come-first-serve Basis.
Die letzten Vorbereitungen werden getroffen. Mit Staubwedeln werden die Fernseher und die Podeste auf Hochglanz gebracht, die Sicherheitsleute werden angewiesen und der Trupp, der mit speziellen, rucksackartigen Werbemitteln auf den Hauptstraßen des Luwan Bezirks unterwegs sein wird, ist auch schon startklar. Während zahlreiche Kunden auf die Stunde Null warten, wird der Hof vor dem Haupteingang vom letzten Unrat befreit.
Roter geht es nicht. Die fünf Verkaufsetagen des Markts sind komplett rot gestrichen und weiß prangt über jeder Etage das Firmenlogo. Diese Aufnahmen sind einen Tag vor der Eröffnung entstanden, da hatte ich die nötigen Minuten gerade übrig. Eigentlich müsste nur noch die Leiter und die Kabel und Leisten am Boden verschwinden, dann wäre hier alles klar. Die riesige Fensterfront auf der Huai Hai Road kündigte schon tagelang die Eröffnung am 17. November per Fernseher an. Insgesamt 42 Stück hingen verteilt in drei Fenstern.
Es ist so weit! Die Tore haben sich zum ersten Mal für Verbraucher geöffnet, die den Markt sofort zahlreich besuchen. Viele Kunden haben bereits am Vorabend angestanden, um eins der begehrten 500 Berechtigungstickets für das iPhone4 zu bekommen. Die Computerabteilung in der zweiten Etage hatte ebenfalls guten Besuch, das Notebook ging weg wie geschnittenes Brot. Die Rolltreppe musste das ausbaden. Die gläserne Verkleidung ging wegen dichten Gedränges zu Bruch.
Wegen des großen Ansturms ließen die Sicherheitskräfte nur 5.000 Kunden gleichzeitig ins Haus und die nächsten erst wieder, wenn der Markt sich einigermaßen geleert hatte. Dann kam, was kommen musste: unter den Wartenden machte sich das Gerücht breit, daß es gefälschte Berechtigungsscheine für das iPhone4 gäbe. Erzürnte Kunden kletterten daraufhin über die Absperrungen, das Chaos brach los.
Es gab die Vermutung, daß die Mitbewerber ein paar Krawallmacher geschickt hatten, die den Umstand der Reglementierung der iPhone Ausgabe für den Zweck ausnutzten, Media Markt schlecht aussehen zu lassen. Eine ähnliche Beobachtung hatte ich bei mir in der fünften Etage gemacht, wo sich wegen der Sonderpreise für Fernseher lange Schlangen an den Verkaufspulten bildeten. Es wurde von ihnen laut darauf aufmerksam gemacht, daß der Ablauf viel zu langsam wäre. Solche Kunden und auch die mit Gebrechen oder alte Menschen habe ich aus den Schlangen heraus genommen und an Verkaufspulte gestellt, die deutlich kürzere Schlangen hatten. Das konnte durchaus zwei Etagen tiefer in der Kleinelektrogeräteabteilung sein.
Am Ende des Verkaufstages konnten alle zufrieden sein. Die Schäden am Markt waren kaum nennenswert, der Abverkauf, der bis Mitternacht ging, lief erstklassig. Die Schulungen des Personals hatten sich als Erfolg erwiesen. Man konnte zwar noch nicht von Routine sprechen, aber die wurde am ersten Tag nicht erwartet. Die Damen und Herren in den roten Hemden hatten sich gut geschlagen.
Das böse Erwachen kam erst später. Auf Grund der Tumulte hatten die Behörden den Eindruck, daß das Sicherheitspersonal dem großen Kundenansturm nicht gewachsen war. Und nichts ist einem bis ins Kleinste kontrollierenden Staat mehr zuwider als ein unkontrollierter Mob. Der Verkauf des iPhone4 und des Compaq Notebooks wurde auf Anordnung der Behörden auf unbestimmte Zeit ausgesetzt und die Veröffentlichung des zweiten Flyers wurde untersagt und durfte nicht einmal im Markt ausliegen. Für den zweiten Verkaufstag wurden Einsatzkräfte der Polizei hinzugezogen, die private Sicherheitsfirma musste ihr Personal im Markt aufstocken. Der Mehraufwand durch die zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen lag bei einer Million Yuan, hieß es.
Aber so ist das eben. Wenn Media Markt einen Sekt aufmacht, dann ist es kein leises Zischen, sondern dann knallt der Korken.
An der Wand am Haupteingang wird mit einem riesigen Plakat auf das Cafe in der fünften Etage hingewiesen. Es wurde von den Kunden hervorragend angenommen. Tage vor der Eröffnung hatten wir die Gelegenheit, es selbst zu testen. Hier wird auch westeuropäische Kost angeboten, also neben Kartoffelsalat gibt es auch Spaghetti und andere warme Gerichte sowie diverse kalte Snacks. Sehr empfehlenswert.
Der Aussage im Bild oben habe ich nichts hinzuzufügen außer ein paar Videos zur Ankunft von Media Markt in Shanghai, zur Eröffnung und dem iPhone4 Problem. Gute Unterhaltung!